Die Singphoniker: I want to hold your hand –
Schubert oder nicht, das ist die Frage
Filme haben wir uns schon immer wieder mal angeschaut – im „Kino“ des Leoninums oder auch privat zu Hause und ausgiebig darüber gesprochen. Ich denke zurück an „Cyrano von Bergerac“ aus dem Jahr 1990 mit dem brillianten Gérard Depardieu in der Titelrolle oder an den Künstlerfilm „Séraphine“ (2008). Doch irgendwann einmal kam die Idee auf, dass wir uns – vielleicht bei einem guten Gläschen Wein – selbst und gegenseitig etwas Musikalisches präsentieren könnten, von dem wir begeistern sind, etwas, das uns gepackt und angerührt hat. Vortrag, Vorspiel, Abspiel bei anschließender Diskussion in einem kleinen Musik–Literatur–Kreis? Eine „AufTaktiade“!
Vor einiger Zeit wurde ich auf einen Titel der „Singphoniker“ aufmerksam: „I want to hold your hand – Schubert oder nicht, das ist die Frage.“ Wie sollte das zusammengehen, Beatles und Schubert, klassische Klavierbegleitung, darüber gelegt der Text der britischen Rockband. Fast provokativ! Dazu der Untertitel in hamletscher Weise, geradezu eine Aufforderung, der Sache nachzugehen, Zusammenhänge zu erkennen, das Geheimnis – wenn möglich – ein wenig zu lüften. Schubert und Beatles vereint? Das machte mich neugierig.
Zunächst war festzustellen, dass dem „Schubert“ der Singphoniker das „Ständchen“ zugrunde lag. Neben der berühmten gleichnamigen Nr. 4 aus dem „Schwanengesang-Zyklus („Leise flehen meine Lieder“) handelt es sich aber hier um ein Stück, das es seltsamerweise in zwei Versionen gibt: D 920 und D 921. Dahinter verbirgt sich eine reizvolle Geschichte, die sich bei näherem Hinsehen immer interessanter und komplexer gestaltete.
Zum Schubert-Kreis gehörten u. a. die drei musikalischen Schwestern Fröhlich: Josephine („Pepi“), eine ausgebildete Konzertsängerin, Anna, eine bekannte Klavierlehrerin und Katharina („Kathi“), die „ewige Braut“ Franz Grillparzers. Anna Fröhlich unterrichtete eine prominente Schülerin, Louise Gosmar, Tochter eines Großhändlers und spätere Frau von Leopold Sonnleithner, der wiederum ein Gönner Schuberts und Cousin Grillparzers war. Die Lehrerin bestellte zum Geburtstag Louises beim Schriftsteller ein Gedicht, zu dem Franz Schubert die Musik schreiben sollte. So war der Plan. Aber der Herr Komponist verstand den Auftrag zunächst falsch, setzt das „Ständchen“ für Mezzosopran und Männerstimmen, korrigierte aber nach Intervention Annas sofort den vierstimmigen Satz für Alt und Frauenstimmen. Schließlich wurde das „Ständchen“ im August 1827 abends im Garten der Gefeierten uraufgeführt und es soll „die herrlichste Wirkung“ gezeigt haben, wie es in den Erinnerungen Annas heißt. Schubert selber fehlte trotz wiederholter Einladung bei dieser Abendveranstaltung. Auch später bei einer erneuter Aufführung des „Ständchens“ saß er in seinem bevorzugten Bierlokal und gab zunächst Vergesslichkeit als Entschuldigungsgrund an, als ihn seine Freunde endlich doch dazu brachten, zum Musikabend zu kommen.
Grillparzers Gedicht (Text mit Schubertvertonung und Gesang) http://www.grillparzer.at/gedichte/staendchen.shtml lässt sich in drei Teile gliedern.
Eine „hochvertraute“ Schar munt’rer Freunde pocht des Abends an des „Liebchens Kammertür“, zunächst zögernd leise, dann heftiger, schließlich mit vereinten Stimmen, fast beschwörend: „Schlaf du nicht!“, wenn dich deine besten und engsten Freunde besuchen wollen (Z. 1-13).
Der zweite Part (Z. 14-19) ist im Wesentlichen eine Ode an die Freundschaft, zunächst eine Anspielung auf Diogenes, den Philosophen in der Tonne, der am helllichten Tage einmal auf dem Marktplatz mit einer brennenden Laterne seinen verwunderten Zeitgenossen ins Gesicht leuchtete und einfach Menschen suchte. Echte, wahre Menschen – wie im „Ständchen“, Menschen, die sich in gegenseitiger freundschaftlicher Verbundenheit „geneigt und hold“ sind.
Dann eine Kehrtwende, die den Rückzug der Freunde einleitet, um die Geliebte respektvoll in Ruhe schlafen zu lassen. Es gibt nichts Größeres als den Schlummer, Rücksicht ist geboten, „noch ein Grüßchen, noch ein Wort“, Z. 24), das Lied, das Ständchen verstummt und „leise schleichen wir uns wieder fort“ Z. 20 – 27).
Naheliegenderweise wählte Schubert für die Vertonung des Gedichts die A-B-A-Form, eine geschlossene Wirkung war beabsichtigt. Der 1. Teil wird von einer kurzen Instrumentaleinleitung durch das Klavier eröffnet („Erfindungskern“), gezupfte Begleitfiguren auf der Gitarre werden nachempfunden. Dann folgt der Liedtext im Wechsel von solistischen und chorischen Partien (Echoeffekt). Die Stimmen vereinen sich in Takt 24 zu einer ersten Steigerung.
Der 2. Teil (Ode an die Freundschaft) wird gestaltet durch fugierte Einsätze der Singstimmen und alternierende Akkorde in der Begleitung.
Der 3. Teil wie oben: Wechsel von solistischen und chorischen Partien.
Dieses „Ständchen“ fand man unter Schuberts letzten Arbeiten an seinem Sterbebett und zeigt, wie wertvoll ihm das Lied wohl war. Es ist wirklich ein herzzerreißendes, anrührendes und zauberhaftes Kabinettstückchen aus Heimlichkeit und Leidenschaft, aus großer Zuneigung und respektvollem Umgang.
Auch zu dem Welterfolg der Beatles „I want to hold your hand”, veröffentlicht im November 1963, gibt es einiges Interessantes zu berichten. Der Manager der Gruppe war um den Erfolg der Pilzköpfe in den USA besorgt. Deshalb bat er Paul McCartney und John Lennon, ein Lied eigens für den amerikanischen Markt zu schreiben. John Lennon dazu in einem Playboy–Interview von 1980: „Wir hatten „Oh you-u-u/got that something…. und Paul schlug den Akkord E-Moll an. Ich wandte mich an ihn und sagte: ‚Das war’s! Mach’s noch mal.’ In diesen Zeiten waren wir es gewöhnt, auf diese Art zu schreiben, jeder spielte es dem anderen gewissermaßen in die Nase.“ https://de.wikipedia.org/wiki/I_Want_to_Hold_Your_Hand.
Tatsächlich: Die ersten zwei Takte in G und D; dann „tänzelt“ das D auf einem effektvollen kleinen chromatischen Umweg über Cis und Dis zu e-moll, um dort etwas zu verweilen. Gut beobachten lässt sich auch hier die für die Beatles typische Close Harmony (enges Arrangement), oft parallele Terzen, wie von G-Dur nach e-moll. Im Übrigen war der Beatlessong Bestandteil unseres letzten AufTaktkonzerts „As time goes by“.
Wie bringen jetzt die „Singphoniker“ Schubert mit den Beatles zusammen? Das war ja doch die Frage. Kurz zur Gruppe: Die „Singphoniker“ sind ein Männersextett, 1980 hervorgegangen aus sechs Studenten der Münchener Musikhochschule; großes Vorbild u. a. die Comedian Harmonists, reiches Repertoire (vokale Kammermusik, Volkslieder, von der Gregorianik bis zur Popmusik, und immer wieder Schubert. Für die Gesamteinspielung der Gesänge Schuberts für Männerstimmen erhielt die Gruppe den „Grand prix du disque“. Das sind absolute Profis und man merkt es gleich an der Umsetzung!
Oh komm, komm zu mir,
du nimmst mir den Verstand.
Ich will mit dir gehen,
komm, gib mir deine Hand.
|: Komm, gib mir deine Hand.:|
Oh du, bist so schön,
schön wie ein Diamant.
Ich will mit dir gehen,
komm, gib mir deine Hand.
|: Komm, gib mir deine Hand.:|
In deinen Armen bin ich glücklich und froh.
Das war noch nie bei einer anderen einmal so…
Ja komm, komm zu mir,
du nimmst mir den Verstand.
Ich will mit dir gehen,
komm, gib mir deine Hand.
|: Komm, gib mir deine Hand.:|
In deinen Armen bin ich glücklich und froh.
Das war noch nie bei einer anderen einmal so… zweimal so…
Oh du, bist so schön,
schön wie ein Diamant.
Ich will mit dir gehen,
komm, gib mir deine Hand.
|: Komm, gib mir deine Hand.:|
|: Komm, gib mir deine Hand.:|
Däng, däng, däng, däng….
Oh, yeah, I tell you something
I think you’ll understand.
When I say that something’s
I wanna hold your hand
I wanna hold your hand
I wanna hold your hand
I wanna hold your hand.
(Songtext aus: 25 Jahre Singphoniker „Nur das Beste“, Nr. 15, CD 1, cpo 777291-2)
Da gab es vieles zu entdecken. Die Klavierbegleitung bleibt zunächst erhalten: Intro, Liedbegleitung, gezupfte Begleitfiguren; auch das Ineinandergreifen der Stimmen; der Echoeffekt; aber ein veränderter Text, auf Deutsch, der relativ selbstständig gegenüber dem englischen Original da steht; inhaltlich geht es in beiden Versionen um den Beginn einer Liebesbeziehung mit relativ starkem Begehren (Imperativ: Komm, gib mir deine Hand!) der männlichen Seite (You’ll let me be your man – Ich will mit dir gehen. Steigerung ins „Handliche“; etymologisch interessant, wenn „du nimmst mir den Verstand“ (2. Zeile) dem englischen „you’ll understand“ gegenübersteht; auch hier die stärkere Akzentuierung der deutschen Version (Diamant-Hand etc.). Refrain und Strophen wechseln und wiederholen sich, das ist ziemlich deckungsgleich. Dann aber erfolgt eine Zäsur, ein Einschnitt, ein Break, der sich etwas früher bereits ankündigt mit dem frivolen? Wortspiel „einmal so – zweimal so“. Das zentrale „Komm, gib mir deine Hand“ erfährt in der letzten auf Deutsch gesungenen Zeile deutliche Veränderungen durch ein weites Ritardando mit neuen ungewohnten Harmonien und endet schließlich mit einem witzigen Anklang an das „Ave Maria“.
Dann setzt ein fremdkörperartiges repetierendes „däng, däng“, das natürlich an „hand“ erinnern soll, ein. Aus dem „a“ wird „ä“ und dieser neue Umlaut signalisiert auch den Umbau des Liedes, eine Veränderung, eine Verschiebung: Aus dem zentralen „… Hand, komm, gib mir deine Hand“ wird ein wiederholtes „däng“. Man hätte sich ja auch unschwer etwas anderes einfallen lassen können als „däng“.
Was nun folgt, ist auch etwas ganz anderes als Schuberts Klavierbegleitung: Akkorde lösen sich auf in fort– und überlaufende sechzehntel– oder zweiunddreißigstel Noten. Das Klavier verlässt den Schubert-Rhythmus endgültig, die linke Hand im Bass orientiert sich wohl noch an der Melodiestimme, während die rechte stürmisch reagiert, aufgeregt, als gerate alles aus den Fugen. Fulminanter Höhepunkt.
Die Singphoniker wechseln jetzt in die Originalsprache mit originalem Text. Man könnte also sagen: Sie finden zurück zum Original, während sich die Klavierbegleitung vom Schubertschen Original hörbar entfernt.
Das Stück hat etwas Geniales, wie ich finde, etwas Überwältigendes, Fesselndes und spiegelt zudem das breite Repertoire der „Singphoniker“ wider. Klar, die sechs Herren sind Schubertexperten, von der Gesamteinspielung war oben die Rede. Dies aber ist noch etwas anderes: ein feines Spiel mit Schubert und den Beatles. Sehr amüsant und sehr gelungen. Das ist hohe Kunst.
Am Ende waren’s auch die vielen subtilen, gewinnenden Diskussionsbeiträge, die diese erste „AufTaktiade“ abgerundet haben. Und spontan stand das nächste Thema fest, passend zum kommenden geistlichen Konzert der Gruppe „AufTakt“ am 27. Oktober 2017 in der Handruper Klosterkirche: Trinität. Wir sind gespannt.
Johannes Leifeld