Trinität – Annäherung an das Geheimnis
Zur gedanklichen Vorbereitung auf das geistliche Konzert „Dreieinigkeit“ versammelte sich unsere Gruppe nach der Probe am 11. September zur zweiten „AufTaktiade“ in meinem Büro unter dem Bild der Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rublev. Dieses Bild begleitet mich seit Jahrzehnten, angeregt vor allem durch die Philosophie Jörg Spletts, dem der trinitarische Sinnraum ein Kernthema seiner Anthropologie wie seiner Religionsphilosophie ist und dem darüber hinaus die Trinität als das heute besonders geforderte Thema im Gespräch mit den Religionen gilt.
Das Sujet der im Original 142 cm x 114 cm großen Ikone (von ihrer Entstehung um 1422 – frühere Datierungen nennen 1411 im Dreifaltigkeitskloster des Heiligen Sergij von Radonesh, seit 1929 in der in der Tretjakow-Galerie in Moskau) bezieht sich auf eine Episode der Abraham-Geschichte (Gen 18, 1-33): „Der Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre. Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang. Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen.“ Schnell lässt er ihnen ein Gastmahl bereiten: „Er wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen.“ Diese Situation ist dargestellt. Abraham ist nicht zu sehen, der Betrachter nimmt gewissermaßen seinen Platz ein, wird Teil der Tischgemeinschaft.
Die besteht zunächst aus drei Engeln, zu denen in der ikonographischen Tradition die drei Männer bald wurden. Diese Beflügelung liegt nahe, wird doch eine göttliche Botschaft verkündet (von den unzählbar zahlreichen Nachkommen Abrahams und Saras nämlich). Engel sind Boten, aber im biblischen Kontext sind sie zugleich Repräsentanten Gottes. Gerade in der bildlichen Darstellung ergibt sich so die Möglichkeit, das Bilderverbot einzuhalten und doch darzustellen, worum es geht: Gottes Anwesenheit, deus adest. Zugleich aber sieht die christliche Lesung dieser Begebenheit in den drei Männern den dreifaltigen Gott – von ihm spricht ja das Buch Genesis hier explizit: „Der Herr erschien …“
Und was Erscheinen heißt, wäre hier eigens zu bedenken. Immer nämlich geht es um das Ineins von Differenz und Identität: Gott erscheint als er selbst, er ERSCHEINT; aber ER erscheint. Dieser Zusammenhang kehrt wieder in jeder Auseinandersetzung mit dem, was Offenbarung heißt. Immer geht es um das Geheimnis, das sich eben gerade als Geheimnis zeigt. Darum ist es vonnöten, hier das Geheimnis nicht als vorschnelles Etikett zu gebrauchen, das jedes weitere Nachdenken verbietet. Es geht um An-dacht und Zeugnis – und darin um ein besseres Verstehen des Geheimnisses eben in seiner Unbegreiflichkeit.
„Geheimnis“ meint ja gerade nicht „Rätsel“ oder „Problem“ (und schon gar nicht etwas, das – wie man es umgangssprachlich „hat“ – nicht „verraten“ werden dürfte). Ein Geheimnis lässt sich nicht „(auf-)lösend“ befragen, es kehrt vielmehr die Fragerichtung um („da ist keine Stelle, die dich nicht sieht“, heißt es bei Rilke ausgerechnet „angesichts“ eines betrachteten Werkes der Kunst [Archaischer Torso Apolls]). Hilfreich mag auch der etymologische Zugang (Jörg Spletts) sein, wonach Ge-heim-nis ein „Gesammelt-daheim-Sein“ meint [das Präfix Ge- bezeichnet eine Ansammlung von: Ge-birge ist eine Ansammlung von Bergen; das Suffix –nis einen Zustand oder schlicht ein Sein]. Und derart kann das Geheimnis als etwas gelten, das gerade in seiner Unfasslichkeit Geborgenheit bietet und damit dem Ursprung ähnelt, wie ihn Heidegger in der Bestimmung der Freude aufruft: „Heimischwerden in der Nähe zum Ursprung“ [zu Hölderlin, Heimkunft]. Einer Quelle kann man sich nur nähern, sie umgreifen zu wollen hieße, aus ihr eine Zisterne zu machen (so sinngemäß Splett).
Jeder Mensch ist ein solches Geheimnis – und ein solches Geheimnis ist der dreieine Gott. Und wenn die Annäherung an das Geheimnis Freude ist, dann gibt es zu danken – und zu denken. So auch die Trinität. Die frühen wuchtigen Formulierungen sagen es in der Sprache ihrer Zeit (in der Tendenz in Abwehr von Fehldeutungen): „Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ (Nizäa, 325). Denn das stand am Anfang, das besondere Verhältnis Jesu zu seinem Vater zu verteidigen – gegen eben naheliegende Vorstellungen, die in ihm irgendwie doch ein Geschöpf sahen (wenn auch ein besonderes) oder andererseits „nur“ eine Erscheinungsweise Gottes (wenn auch eine besondere). Zum Wunder der Offenbarung gehört für mich zweifelsohne auch diese Geschichte der frühen Reflexion, weil sie in der Begrifflichkeit der antiken Philosophie gerade gegen deren Deutungsmuster (eines Demiurgen z.B.) formulierten. Und das setzt sich in der trinitarischen Theologie fort (in einem prinzipiell offenen Prozess der Versprachlichung).
Darin ragt für mich ein Theologe heraus, der buchstäblich zwischen dem Heiligen Augustinus und dem Heiligen Thomas eine Trinitätslehre entwickelt hat, die lange neben der bestimmenden Tradition, die im Geist das personifizierte Band der Liebe zwischen Vater und Sohn sieht (und damit im Kern von einer Zweiheit ausgeht), ein Schattendasein führte: Richard von Sankt-Victor (12. Jh.). Er denkt konsequent von dem her, was Liebe ist – und entfaltet sie in atemberaubend zeitloser wie moderner (nämlich kommunikationstheoretisch adaptierbarer) Weise:
Bedenken wir einmal sorgsam Wert und Eigenschaften der Mitliebe, dann wird uns das Gesuchte rasch zufallen. Wenn einer einem anderen Liebe schenkt, wenn ein Einsamer einen Einsamen liebt, dann ist zwar Liebe vorhanden, aber die Mitliebe fehlt. Wenn zwei sich gegenseitig gern haben, einander ihr Herz in hohem Sehnen schenken, und der Liebesstrom von diesem zu jenem, von jenem zu diesem fließt, und gegenläufig je auf Verschiedenes zielt, dann ist zwar auf beiden Seiten Liebe da, aber die Mitliebe fehlt. Von Mitliebe kann erst dann gesprochen werden, wo von zweien ein dritter einträchtig geliebt, in Gemeinsamkeit liebend umfangen wird und die Neigung der beiden in der Flamme der Liebe zum Dritten ununterschieden zusammenschlägt.(Die Dreieinigkeit, Einsiedeln 1980, 2002, S.104.)
Diesen Zugang mit Richard zur Trinität verdanke ich meinem Lehrer Jörg Splett – und verweise dankbar auf seine Darlegungen (z.B. in der Sammlung wichtiger Wortmeldungen: Philosophie für die Theologie, hg. von Peter Hofmann und Justinus C. Pech, aber auch in zahlreichen früheren Veröffentlichungen).
Und zeigt nicht Rublevs Ikone gerade dies? (Auch hier verweise ich auf einschlägige Untersuchungen, z.B. von Jutta Koslowski.)
Struktur und Farbe erschließen das Bild – ohne es zu entzaubern. Die Ruhe und die Dynamik der Ikone, der gelassene Ineinanderblick der Drei und die Bewegungslinien der Zuneigung, die schwebende Perspektive und die erdenschwere Präsenz, die angedeutete Verortung in Mamre und die unausdenkbare Symbolik wollen meditiert sein. Wer ist wer? Die Frage sei gestellt, aber nicht beantwortet; sie fordert auf, sich dem Bild zu stellen: Da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Aber derart angesehen zu werden (und Ansehen zu gewinnen), lässt viel-leicht in die Knie gehen, haut einen vom Pferd wie Paulus vor Damaskus, zieht in die Nähe zum Ursprung und schenkt unausdenkbare Gemeinschaft, deren Vor-Schein wir hier dankbar erblicken und deren End-gültigkeit wir erhoffen.
Franz-Josef Hanneken