Gregorianik

Gregorianik stand am Anfang. Jener getragene und tragende Gesang der Klöster, schwingend und im Raum quasi körperlich anwesend – und derart tatsächlich „einräumend“, nämlich Sammlung und Ankunft und Präsenz und Herzenserhebung; denn das vermag die Musik ohnehin. Hier aber – im Resonanzraum der Kirche – werden Gesang und Gewölbe eins, wölben sich über und um Sänger und Hörer und rufen zu Gehör und „Betrachtung“.

Rorate

Neben dem Officium avancierte z.B. der Rorate-Introitus zu einem der meist gesungenen Stücke, der adventlich alttestamentliche Ruf mit der ruhigen und berührenden Wucht seiner zeitlosen Bitte: „Tauet Himmel, von oben, ihr Wolken, regnet den Gerechten:
Es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland hervor.“ (Jes 45,8) So gehört seit einem Jahrzehnt AufTakt zum Handruper Rorate-Amt.

Musikalische Andachten

Der alte Satz: „Wer gut singt, betet doppelt.“, mag in seiner Quantifizierung fraglich und in seinem Ziel- und Zweckdenken gar bedenklich sein, aber es spricht sich darin eine Erfahrung aus, worin das Singen dem Wort etwas hinzufügt, einen Mehrwert, der allerdings einer weiteren Dimension gleicht, die Tiefe und Körperlichkeit verleiht.
Wenn im Wort „Andacht“ das Denken steckt, dann ist dieser Anklang gewollt – in der ganzen Breite des Nach- und Andenkens, des Meditierens, Nachsinnens und Innewerdens – und nicht zuletzt des Vor-Gott-Bringens. Allerdings: Ob Passionsandacht oder Marienvesper, nie geht es um nur Gedachtes – denn auch dazu kann der Gesang verhelfen, Denken und Fühlen, Bedenken und Aufschwung des Herzens zu vereinen.

Passionsandachten

Musik zur Passion? Jesu „Todesschrei passt trotz Bach nicht in Gesangskategorien. […] Die Kreuzigung ist kein Spiel. Wer unter dem Kreuz spielt, sind nur die ahnungslosen Soldaten, die ein Würfelspiel um das Gewand des Ermordeten veranstalten.“ (Bernardin Schellenberger: Einübung ins Spielen. Münsterschwarzach 1980, S. 30) – So ist es. Liturgie will nie vorspielen; im Besten ist sie Vergegenwärtigung – bewusst als Nachvollziehen (aber wirkliches Vollziehen). Dem dient die Musik. „Were you there when they crucified my Lord?” Die Frage ist – natürlich – rhetorisch, aber als Gesang, als Satz in der Andacht ist sie mehr als das, ruft vielmehr das spannungsvolle Zugleich von Distanz und Distanziertheit (nämlich unserer dem damaligen Folter- und Todesgeschehen auf der Schädelhöhe von Golgota so fernen Erfahrungswelt) und Nähe (nämlich unserer mit Leid zum Bersten gefüllten Zeit) auf, bringt uns unter das Kreuz, bringt uns hier und heute unter das wirkliche Kreuz dessen, der gestorben, begraben und auferstanden ist.

Marienvespern

Und Maria? Ist die Marienandacht nicht der willkommene Gegenpart zur Passion – mit Schönheit, Lächeln, Blumenschmuck? Aber Maria gehört auch unter das Kreuz, aushaltend, leidend, im Innersten vom scharfen Schwert des Schmerzes getroffen. Wir stellen uns Maria als eine starke Frau vor, nicht nur als die bescheidene und demütige. Das war sie bestimmt auch, aber aus einer inneren Kraft und aus einem Eigenstand heraus, der mit dem Satz „Du bist voll der Gnade“ sicherlich mitgemeint ist. Wir stellen uns eine lesende Maria vor, bewandert in den Schriften der Verheißung, nicht auf den Mund gefallen, wenn es um die richtigen Worte geht; immerhin lernt Jesus bei ihr und von ihr seine Muttersprache, die Sprache, in der er sich selbst, das Wort des Vaters, sagt und verkündet. Sie bleibt in der Nähe ihres Sohnes, ist am Beginn seines öffentlichen Wirkens dabei: Bei der Hochzeit zu Kana sagt sie zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“. Das ist der Grundgestus ihres Lebens, bis unter das Kreuz, aber nicht als bloßes Hinweiszeichen, als bloßer Zeigegestus. Sie wird gefragt, sie spricht mit ihm, sie spielt eine wichtige Rolle – noch in der jungen Gemeinde nach Ostern – und noch, auch und vielleicht besonders in der Musik.